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Sind hochsensible Menschen mehr gestresst? Das sagen die Beweise

15th July 2025 - Von Aine Harrold, Kim Keating, Fionnuala Larkin, Annalisa Setti

Über die Autoren

Aine Harrold ist Absolventin des klinischen Doktoratsstudiums der Psychologie am University College Cork, Irland, und strebt derzeit eine Karriere als klinische Psychologin an.

Kim Keating ist diplomierte klinische Psychologin und arbeitet als Praxisausbilderin im Rahmen des klinischen Doktoratsstudiums der Psychologie am University College Cork, Irland.

Fionnuala Larkin ist Senior Lecturer und Chartered Clinical Psychologist im Rahmen des klinischen Doktoratsstudiums der Psychologie am University College Cork, Irland.

Annalisa Setti ist Senior Lecturer für angewandte Psychologie am University College Cork, Irland. Sie erforscht die Vorteile der Natur und nachhaltige Verhaltensweisen bei Menschen mit unterschiedlicher Sensibilität.

Zusammenfassung

Dieser Blog fasst eine aktuelle systematische Übersichtsarbeit zusammen, die die aktuellen Beweise für den Zusammenhang zwischen sensorischer Sensibilität und Stress zusammenfasst. Es gibt solide Belege für einen Zusammenhang zwischen sensorischer Sensibilität und Stress, aber es sind weitere Forschungen zu bestimmten Gruppen und Schutzfaktoren erforderlich.

Hintergrund der Studie

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem überfüllten Zug während der Hauptverkehrszeit. Das Summen von Gesprächen, das Quietschen der Räder auf den Gleisen, die Menschenmenge und alle möglichen Gerüche, Bilder und Geräusche, die auf Sie einprasseln - fühlen Sie sich davon überwältigt? Oder fällt es Ihnen leicht, die Reize um Sie herum auszublenden und sich in dieser sensorisch dichten Umgebung wohl zu fühlen?

Individuelle Unterschiede in der Art und Weise, wie wir Sinneseindrücke wahrnehmen und verarbeiten, scheinen dazu beizutragen, wie viel Stress Menschen empfinden. In dieser Studie (1) wollten wir die Beweise für einen Zusammenhang zwischen sensorischer Verarbeitungsempfindlichkeit und Stress untersuchen und die Qualität dieser Beweise bewerten.

Diese systematische Überprüfung stützt sich insbesondere auf zwei Modelle: das Environmental Sensitivity Framework (2) und Dunns Modell der sensorischen Verarbeitung (3).

  • Dunns Modell der sensorischen Verarbeitung umfasst zwei Dimensionen: die subjektive neurologische Schwelle und die Fähigkeit des Einzelnen zur Selbstregulierung. Diese Dimensionen werden mit dem Adult and Adolescent Sensory Profile gemessen.
  • Das Konzept der Umweltsensibilität und insbesondere die Theorie der sensorischen Verarbeitungsfähigkeit umfasst drei Dimensionen: sensorische Schwellenwerte, leichte Erregbarkeit als Reaktion auf sensorische Reize und ästhetische Sensibilität. Die sensorische Verarbeitungssensibilität wird mit der Highly Sensitive Person Scale(4) gemessen.

Während sich das Modell von Dunn auf die Sinneswahrnehmung und die Aufmerksamkeit konzentriert, erfasst das Sensory Processing Sensitivity Modell auch andere Dimensionen, wie z.B. Empathie und Tiefe der Verarbeitung. Ziel unserer systematischen Überprüfung war es, die Belege für den Zusammenhang zwischen sensorischer Verarbeitung und Stress in der erwachsenen Bevölkerung zusammenzufassen und zu bewerten.

Methode

Das Studienprotokoll wurde bei PROSPERO registriert (Registrierungsnummer: CRD42023412150), um Transparenz und Reproduzierbarkeit zu fördern. Wir haben umfassende Recherchen in fünf Datenbanken durchgeführt: PubMed, PsycINFO, Scopus, Web of Science und Google Scholar.

Gemäß den Empfehlungen zur Erfassung der relevantesten Studien haben wir die ersten 200 Ergebnisse von Google Scholar einbezogen. Darüber hinaus wurden die Datenbankergebnisse durch Rückwärts- und Vorwärtszitatensuche ergänzt, um eine gründliche Abdeckung sicherzustellen.

In Frage kommende Studien eingeschlossen:

  • Quantitative Forschungsstudien unter Verwendung validierter psychometrischer Instrumente für sensorische Verarbeitung und Stress
  • Qualitative Studien, die sich ausdrücklich auf beide Konstrukte beziehen
  • Studien mit gemischten Methoden

Für die Datenextraktion wurde eine detaillierte Vorlage erstellt, um die Informationserfassung in allen Studien zu standardisieren. Die extrahierten Daten umfassten Angaben zur Autorenschaft, zum Veröffentlichungsjahr, zum geografischen Standort, zu den Studienzielen, zum Studiendesign, zu den Bevölkerungsmerkmalen, zur Teilnehmerzahl, zu den Analyseansätzen und zu den wichtigsten Ergebnissen, die für den Zusammenhang zwischen sensorischer Verarbeitung und Stress relevant sind.

Die Studien wurden anhand des Mixed Methods Appraisal Tool (MMAT, Version 2018) einer kritischen Bewertung unterzogen. Dieses Tool bewertete die Qualität der eingeschlossenen Studien anhand von fünf Kriterien, wobei die Punktzahl von einem bis fünf Sternen reichte.

Wichtigste Ergebnisse

Die Untersuchung ergab einen konsistenten Zusammenhang zwischen sensorischer Verarbeitung und erhöhtem Stresslevel bei Erwachsenen.

Insgesamt wiesen Personen mit höherer sensorischer Sensibilität, gemessen mit der Highly Sensitive Person (HSP)-Skala, mäßige bis hohe Korrelationen mit verschiedenen Stressmessungen auf, wie der Perceived Stress Scale und der Depression, Anxiety, and Stress Scale (DASS-21).

Diese Ergebnisse wurden in verschiedenen Bevölkerungsgruppen, einschließlich klinischer Gruppen und allgemeiner Arbeiter, beobachtet, was die weit verbreitete Bedeutung der sensorischen Verarbeitung von Stress unterstreicht.

Die meisten dieser Studien waren jedoch Querschnittsstudien, was den Bedarf an Längsschnittforschung erhöht.

Was soll das bedeuten?

In der Praxis bedeutet dies, dass Menschen, die empfindlicher auf sensorische Reize reagieren, tendenziell gestresster sind als Menschen, die weniger empfindlich sind. Dies unterstreicht, wie wichtig es ist, die Empfindlichkeit der sensorischen Verarbeitung als potenziellen Risikofaktor für Stress sowohl im klinischen als auch im alltäglichen Umfeld zu berücksichtigen.

Hauptbeitrag

Diese Studie liefert systematische Beweise für einen Zusammenhang zwischen sensorischer Verarbeitungsempfindlichkeit und Stress bei Erwachsenen und stellt eine solide Grundlage für Studien zur Stressprävention oder -reduktion dar.

Zukünftige Forschung

Unsere Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit von Längsschnittstudien, die Menschen über einen längeren Zeitraum hinweg verfolgen und es uns ermöglichen, festzustellen, ob Menschen mit einer höheren Umweltsensibilität unter Berücksichtigung aller anderen Faktoren stärker gestresst werden.

Es ist auch wichtig, darüber nachzudenken, was bei hochsensiblen Menschen Stress vorbeugen kann, z.B. die Verbindung zur Natur (5) oder das Praktizieren von Achtsamkeit (6). Die Erforschung dieser und anderer Schutzfaktoren könnte die Wahrnehmung von Hochsensibilität als Schwachstelle zu einer Stärke machen.

Literatur

  1. Harrold et al. (2024). Der Zusammenhang zwischen sensorischer Verarbeitung und Stress in der erwachsenen Bevölkerung: Eine systematische Überprüfung. Appl Psychol Health Well Being. https://doi.org/10.1111/aphw.12554
  2. Greven, C.U., et al., Sensory Processing Sensitivity in the context of Environmental Sensitivity: Eine kritische Überprüfung und Entwicklung einer Forschungsagenda. Neuroscience & Biobehavioral Reviews, 2019. 98: p. 287-305.
  3. Brown, C., et al., Das sensorische Profil für Erwachsene: Measuring Patterns of Sensory Processing. Amerikanisches Journal für Beschäftigungstherapie, 2001. 55(1): p. 75-82.
  4. Aron, E.N. und A. Aron, Sensory-processing sensitivity and its relation to introversion and emotionality. Zeitschrift für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie, 1997. 73(2): p. 345-368.
  5. Cadogan, E., et al., Das Betrachten eines Naturvideos verringert den negativen Affekt und das Grübeln, während der positive Affekt durch den Grad der sensorischen Verarbeitungssensibilität bestimmt wird. Zeitschrift für Umweltpsychologie, 2023. 90: p. 102031.
  6. Soons, I., A. Brouwers und W. Tomic, Eine experimentelle Studie über die psychologischen Auswirkungen eines achtsamkeitsbasierten Stressreduktionsprogramms auf hochsensible Personen. Europe’s Journal of Psychology, 2010. 6(4): p. 148-169.