Jenseits von Unruhe: Schlafprobleme für hochsensible Personen verstehen
4th July 2024 - Von Dr. Luca Simione & Ilde Pieroni
Über die Autoren
Luca Simione ist außerordentlicher Professor für Psychologie an der University of International Study UNINT, Rom, und Forscher am Institut für Kognitionswissenschaften und Technologien, CNR. Sein Hauptinteresse gilt der Bewusstseinsforschung und der Achtsamkeitsmeditation. Er ist auch sehr leidenschaftlich für Sensibilität, als phänomenales Werkzeug, um das menschliche Bewusstsein zu verstehen.
Ilde Pieroni ist Doktorandin an der Universität Sapienza in Rom im Doktorandenprogramm in Psychologie und Kognitionswissenschaft. Ihre Forschung konzentriert sich hauptsächlich auf Schlaf und Träumen, mit besonderem Interesse an den Auswirkungen von Achtsamkeit und Sensibilität auf die Schlafgesundheit und die Tagesfunktion. Sie ist auch eine qualifizierte MBSR-Ausbilderin und Meditationslehrerin.
Zusammenfassung
Wir untersuchten den Zusammenhang zwischen sensorischer Verarbeitungsempfindlichkeit und Schlaflosigkeitssymptomen und testeten die Hypothese, dass tägliche Stressoren hochsensible Personen während der Nacht beeinflussen würden. Wir fanden heraus, dass eine erhöhte Schlafreaktivität den Zusammenhang zwischen Sensibilität und Schlafstörungen erklärt. Diese Studie hat das Potenzial, empfindlichen Menschen bei der Überwindung ihrer Schlafprobleme zu helfen.
Stress und Schlaflosigkeit: eine schwer zu beendende Beziehung
Schlaflosigkeit betrifft Millionen Menschen weltweit und lässt die Menschen tagsüber erschöpft und kämpfend zurück. Etwa 30 % der Erwachsenen leiden unter Symptomen wie Einschlafstörungen, Durchschlafstörungen und Unzufriedenheit mit ihrem Schlaf. Dies führt zu Müdigkeit, verminderter Wachsamkeit und Reizbarkeit während des Tages (1).
Manche Menschen entwickeln aufgrund bestimmter Veranlagungen eher Schlaflosigkeit, die sich jedoch nur unter bestimmten Umweltbedingungen, wie z. B. stressigen Ereignissen, manifestieren (2). Diese Ereignisse werden als auslösende Faktoren bezeichnet. Daher können Personen mit solchen Veranlagungen und schlechtem Stressmanagement anfälliger für Schlaflosigkeitssymptome sein (3).
Stress + Sensibilität = schlaflose Nächte?
Dieses Muster entspricht den Merkmalen hochsensibler Personen (HSPs), die stärker auf Umweltreize reagieren und häufiger einem hohen Stressniveau ausgesetzt sind (4). Infolgedessen können sie ein höheres Risiko für die Entwicklung von Schlafproblemen haben.
Obwohl nur wenige Studien den Zusammenhang zwischen Empfindlichkeit und Schlafproblemen untersucht haben, zeigen sie durchweg einen signifikanten Zusammenhang. Eine höhere Empfindlichkeit ist mit Einschlafschwierigkeiten (5) und häufigeren Albträumen (6) verbunden. Diese Studien haben sich jedoch nicht speziell damit befasst, wie Sensibilität und Stress zu diesen Problemen beitragen, was unsere Forschung untersuchen wollte.
Den Zusammenhang zwischen Sensibilität und Schlaflosigkeit verstehen
Unsere Forschung (7) konzentrierte sich auf die Idee, dass Schlafprobleme bei hochsensiblen Menschen auf eine erhöhte Schlafreaktivität zurückzuführen sind. Das bedeutet, dass sie bei Stress besondere Schwierigkeiten beim Ein- und Durchschlafen haben.
HSPs neigen dazu, den Stress, den sie im Laufe des Tages ansammeln, mit ins Schlafengehen zu nehmen, was das Einschlafen erschwert. Unser Modell legt nahe, dass der Zusammenhang zwischen Sensibilität und Schlaflosigkeitssymptomen durch Schlafreaktivität erklärt werden könnte.
Studiendesign und Ergebnisse
Wir untersuchten 358 Teilnehmer, von denen die meisten Frauen mit einem Durchschnittsalter von 34,75 Jahren waren. Sie füllten Fragebögen aus, um ihre Sensibilität, psychische Belastung, Schlafreaktivität und Schlaflosigkeitssymptome zu messen. Wir kontrollierten Persönlichkeitsmerkmale wie Neurotizismus und Schlafmuster.
Unsere Ergebnisse bestätigten unsere Hypothesen und zeigten eine positive Korrelation zwischen sensorischer Verarbeitungsempfindlichkeit, Schlafreaktivität und Schlaflosigkeitssymptomen. In einer detaillierteren Analyse fanden wir heraus, dass die Schlafreaktivität den Zusammenhang zwischen Sensibilität und Schlaflosigkeit vollständig erklärt. Dieser Effekt blieb auch nach Berücksichtigung von Faktoren wie Alter, Geschlecht und Persönlichkeitsmerkmalen signifikant.
Auswirkungen auf Schlaflosigkeit und hochsensible Menschen
Unsere Ergebnisse haben zwei Hauptimplikationen. Erstens heben sie den Zusammenhang zwischen sensorischer Verarbeitungsempfindlichkeit und Schlafproblemen hervor.
Das Wissen, dass hochsensible Personen in stressigen Zeiten anfälliger für Schlafprobleme sind, kann Therapeuten helfen, maßgeschneiderte Schlafberatung zu geben und die Schlafreaktivität bei HSP-Patienten zu beurteilen. Achtsamkeitsbasierte Interventionen (8) und kognitive Verhaltenstherapie bei Schlaflosigkeit (CBT-I) können ebenfalls wirksam sein.
Zweitens verbessern unsere Ergebnisse das Verständnis von Schlaflosigkeit. Schlechte Schläfer und Schlaflosigkeitspatienten haben oft eine erhöhte sensorische Verarbeitung und sensorische Gating-Beeinträchtigungen, insbesondere zu Beginn des Schlafes (9).
Die sensorische Verarbeitungsempfindlichkeit kann einige dieser schlafbezogenen Probleme erklären. Zukünftige Forschung sollte die Rolle hochsensibler Personen in der Schlafwissenschaft und klinischen Praxis untersuchen.
Praktische Tipps für hochsensible Menschen
Eine wichtige Erkenntnis ist, dass die Behandlung von schlafbezogenen Schwierigkeiten HSPs mit Schlaflosigkeit helfen kann. Ihre Schlafprobleme hängen eher damit zusammen, dass sie den täglichen Stress in den Schlaf mitnehmen (Schlafreaktivität) als mit dem allgemeinen Stressniveau.
Meditations- oder Entspannungstechniken vor dem Schlafengehen können für HSPs sehr effektiv sein. Diese Praktiken helfen, täglichen Stress abzubauen und die nächtliche geistige Aktivität zu reduzieren, wodurch die Tagesfunktion und das emotionale Wohlbefinden verbessert werden.
Schlussfolgerung
Durch das Verständnis der komplexen Zusammenhänge zwischen Sensibilität und Schlaf können wir HSPs, die mit Schlafproblemen zu kämpfen haben, besser unterstützen und die wissenschaftliche Erforschung von Schlaflosigkeit vorantreiben.
Auf der Suche nach besserem Schlaf gibt es Hoffnung auf Entdeckung und Heilung. Kontinuierliche Forschung kann zu personalisierten Schlafroutinen führen, die HSPs helfen, sich tief mit sich selbst zu verbinden und ihr Leben Tag und Nacht zu bereichern.
Literatur
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