Empfindsamkeit ist wichtig für die psychische Gesundheit
9th September 2025 - Von Tom Falkenstein
Über die Autoren
Tom Falkenstein ist Psychotherapeut, Autor des Buches The Highly Sensitive Man (HarperCollins, 2019) und Doktorand an der Queen Mary University of London unter der Leitung von Prof. Michael Pluess. Seine Arbeit wurde in Podcasts, Fernsehen, Film, Radio und internationalen Publikationen veröffentlicht. Tom betreibt eine Privatpraxis in London. Für weitere Informationen besuchen Sie bitte: www.tomfalkenstein.com
Zusammenfassung
Unsere Studie ist die erste systematische Überprüfung und Meta-Analyse, die untersucht, wie Umweltsensibilität mit psychischer Gesundheit zusammenhängt. In 33 Studien haben wir festgestellt, dass eine höhere Sensibilität durchweg mit Depressionen und Angstzuständen verbunden ist, was wichtige Auswirkungen auf die Prävention und Behandlung weltweit hat.
Hintergrund
Was wäre, wenn sich eine höhere Sensibilität für Ihre Umgebung auf Ihre geistige Gesundheit auswirken könnte?
Umweltsensibilität ist ein Persönlichkeitsmerkmal, das widerspiegelt, wie stark Menschen auf das reagieren, was in ihnen und um sie herum geschieht. Jeder Mensch hat ein gewisses Maß an Sensibilität, aber diejenigen am oberen Ende des Kontinuums, die oft als hochsensible Menschen (HSP) bezeichnet werden, verarbeiten Erfahrungen tiefer und sind emotional stärker davon betroffen.
Während diese Eigenschaft eine Stärke sein kann, kann sie auch die Anfälligkeit für Stress und psychische Probleme erhöhen. In unserer Forschung (1) wollten wir besser verstehen, wie diese Eigenschaft mit der psychischen Gesundheit zusammenhängt.
Studienziele
Klärung des Zusammenhangs zwischen Sensibilität und psychischer Gesundheit
In den letzten 25 Jahren haben viele Studien darauf hingewiesen, dass Sensibilität mit verschiedenen psychischen Problemen zusammenhängt, aber die Ergebnisse sind verstreut und manchmal widersprüchlich. Unser Ziel war es, all diese Erkenntnisse zusammenzutragen und festzustellen, wie stark der Zusammenhang zwischen Sensibilität und häufigen psychischen Problemen ist.
Durch die systematische Durchsicht aller verfügbaren Studien und die anschließende Durchführung einer Meta-Analyse wollten wir eine einfache, aber wichtige Frage beantworten: Inwieweit erhöht eine hohe Sensibilität das Risiko für häufige psychische Erkrankungen?
Wie wurde die Studie durchgeführt?
Von Hunderten von Papieren zum stärksten Beweis
Wir haben sieben große wissenschaftliche Datenbanken sowie andere Quellen durchsucht und zunächst 829 Studien identifiziert. Nach strengen Einschlusskriterien haben wir 33 Studien mit einer kombinierten Stichprobe von 12.697 Teilnehmern (Durchschnittsalter ca. 25 Jahre, etwa 63 % weiblich) aus der ganzen Welt einbezogen.
Die meisten Studien stützten sich auf Stichproben aus der Allgemeinbevölkerung, während einige wenige klinische Gruppen wie Menschen mit Zwangsstörungen (OCD) oder posttraumatischer Belastungsstörung (PTSD) einschlossen. Die Sensitivität wurde mit der Highly Sensitive Person Scale (HSPS) oder ihrer Kinderversion (2, 3) gemessen, während die psychische Gesundheit mit etablierten Instrumenten wie dem Beck Depression Inventory (BDI) und der Depression, Anxiety and Stress Scale (DASS-21) bewertet wurde.
Wir haben zunächst eine systematische Übersichtsarbeit durchgeführt, um die vorhandenen Belege zu erfassen, und dann eine Meta-Analyse, die es uns ermöglichte, die Gesamtstärke des Zusammenhangs zwischen Sensibilität und häufigen psychischen Erkrankungen wie Depressionen und Angstzuständen zu berechnen.
Wesentliche Ergebnisse
Was die Beweise wirklich zeigen
Bei der systematischen Überprüfung haben wir festgestellt, dass eine höhere Sensibilität durchweg mit einer Vielzahl von psychischen Problemen verbunden war. Dazu gehörten nicht nur Depressionen und Angstzustände, sondern auch psychosomatische Symptome, Zwangsstörungen, PTBS, Agoraphobie und soziale Phobie. Auch wenn das Ausmaß dieser Assoziationen variierte, war das Muster klar: eine höhere Sensibilität war immer mit mehr Symptomen verbunden.
Die Meta-Analyse lieferte uns genauere Schätzungen für Depressionen und Angstzustände, die beiden am meisten untersuchten Ergebnisse. Wir fanden:
- Depression: Empfindlichkeit korreliert mit r = .36 (95% CI = .30-.42)
- Angst: Empfindlichkeit korreliert mit r = .39 (95% CI = .34-.44)
Dies sind moderate, aber robuste Effektgrößen, die zeigen, dass Sensibilität ein bedeutender Faktor für die psychische Gesundheit ist. Darüber hinaus waren die Ergebnisse über verschiedene Länder und Altersgruppen hinweg konsistent, was darauf hindeutet, dass die Beziehung nicht auf einen bestimmten kulturellen oder entwicklungsspezifischen Kontext beschränkt ist.
Was sind die Auswirkungen unserer Forschung?
Auf dem Weg zu einer stärker personalisierten psychiatrischen Versorgung
Unsere Ergebnisse legen nahe, dass Umweltsensibilität in der klinischen Praxis viel mehr Aufmerksamkeit verdient. Etwa einer von drei Menschen ist hochsensibel (4). Das kann sie zwar anfälliger für Stress machen, bedeutet aber auch, dass sie besonders von positiven Erfahrungen in der Therapie und von Maßnahmen profitieren können, die auf ihre Sensibilität zugeschnitten sind.
Das frühzeitige Erkennen von Sensibilität in der Behandlung könnte den Ärzten dabei helfen, die Behandlung individuell zu gestalten und anzupassen, z. B. indem sie sich mehr auf Strategien zur Emotionsregulierung, Achtsamkeit und Stressbewältigung konzentrieren oder Sensibilität als Stärke und nicht als Schwäche betrachten. Für junge Menschen könnte dieses Bewusstsein auch dazu beitragen, dass Schulen und Familien Unterstützung anbieten, die die Stigmatisierung verringert und Probleme verhindert, bevor sie eskalieren.
Mit Blick auf die Zukunft sehen wir ein großes Potenzial dafür, dass die Sensitivität als Prädiktor für die Behandlungsergebnisse genutzt werden kann, um zu ermitteln, wer am besten auf verschiedene therapeutische Ansätze anspricht. Dies könnte die psychiatrische Versorgung effektiver machen und die Rückfallprävention verbessern.
Was waren die Grenzen dieser Forschung?
Selbst starke Beweise haben ihre Lücken.
Unsere Ergebnisse sind zwar solide, aber auch mit einigen Vorbehalten behaftet:
- Die meisten der eingeschlossenen Studien stützten sich auf Fragebögen zur Selbstauskunft, was zu Verzerrungen führen kann.
- Die meisten Teilnehmer stammten aus der Allgemeinbevölkerung und waren häufig Studenten. Daher sind weitere Arbeiten mit klinischen Stichproben und in älteren Altersgruppen erforderlich.
- Viele der Studien waren Querschnittsstudien, d.h. sie erfassen Assoziationen zu einem bestimmten Zeitpunkt, können aber keine Informationen über Ursache und Wirkung liefern.
Zukünftige Forschungen müssen Menschen über einen längeren Zeitraum und in verschiedenen kulturellen Kontexten begleiten, um vollständig zu verstehen, wie Sensibilität die psychische Gesundheit und die Behandlung beeinflusst.
Fazit
Unsere Studie bestätigt, dass eine hohe Sensibilität durchweg mit Depressionen, Angstzuständen und anderen psychischen Problemen verbunden ist. Doch Sensibilität ist nicht nur eine Quelle der Verwundbarkeit. Sie bringt auch einzigartige Stärken mit sich. Indem wir hochsensible Menschen im therapeutischen Kontext erkennen und unterstützen, können wir Risiken verringern und Möglichkeiten schaffen, damit sie sich entfalten können.
Eine vollständige Kopie unserer Forschungsarbeit finden Sie hier: The Relationship Between Environmental Sensitivity and Common Mental-Health Problems in Adolescents and Adults: Eine systematische Überprüfung und Meta-Analyse
Literatur
- Falkenstein, T., Sartori, L., Malanchini, M., Hadfield, K., & Pluess, M. (2025). Der Zusammenhang zwischen Umweltsensibilität und häufigen psychischen Problemen bei Jugendlichen und Erwachsenen: Eine systematische Überprüfung und Meta-Analyse. Clinical Psychological Science. https://doi.org/10.1177/21677026251348428
- Aron, E. N., & Aron, A. (1997). Sensibilität bei der sensorischen Verarbeitung und ihre Beziehung zu Introversion und Emotionalität. Zeitschrift für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie, 73(2), 345-368.
- Pluess, M., Assary, E., Lionetti, F., Lester, K. J., Krapohl, E., Aron, E. N., & Aron, A. (2018). Umweltsensibilität bei Kindern: Entwicklung der Highly Sensitive Child Scale und Identifizierung von Sensibilitätsgruppen. Developmental Psychology, 54(1), 51–70. https://doi.org/10.1037/dev0000406
- Lionetti, F., Aron, E. N., Aron, A., Burns, G. L., Jagiellowicz, J., & Pluess, M. (2018). Löwenzahn, Tulpen und Orchideen: Beweise für Sensibilität als eigenständiges Persönlichkeitsmerkmal. Entwicklungspsychologie, 54(1), 160-172.