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Hochsensible Jugendliche und die Belastung durch COVID-19

16th September 2021 - Von Shuhei Iimura

Über die Autoren

Dr. Shuhei Iimura ist Postdoktorand an der Universität von Tokio. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören unterschiedliche Anfälligkeit und posttraumatisches Wachstum in der Adoleszenz. Seine aktuelle Forschung umfasst Längsschnittstudien, um zu untersuchen, wie sich hochsensible Jugendliche an Veränderungen im schulischen Umfeld anpassen

Zusammenfassung

Hochsensible Jugendliche berichten tendenziell über ein höheres Maß an Belastungen im Zusammenhang mit COVID-19. Unsere Ergebnisse legen jedoch nahe, dass Resilienz, definiert als die Fähigkeit, Widrigkeiten gestärkt zu bestehen, eine wichtige Rolle für die psychische Gesundheit von Jugendlichen während einer Pandemie spielen könnte.

Psychische Gesundheit während der COVID-19-Pandemie

Seit 2019 sind die Menschen mit einem weltweiten Ausbruch des neuartigen Coronavirus (COVID-19) konfrontiert. In der Anfangsphase der COVID-19-Pandemie haben viele Länder Maßnahmen wie Abriegelungen und Schulschließungen ergriffen. Obwohl inzwischen in vielen Ländern geimpft wird, wirkt sich die Pandemie weiterhin auf das Verhalten und die psychische Gesundheit der Menschen aus.

Mehrere Studien wurden durchgeführt, um die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf das psychische Wohlbefinden und die psychische Gesundheit zu untersuchen. Diesen Studien ist zu entnehmen, dass die Menschen im Zusammenhang mit der Pandemie eher negativ reagieren, z. B. mit Angstzuständen, Depressionen, Panikattacken und Fremdenfeindlichkeit (1).

Darüber hinaus weist eine aktuelle systematische Untersuchung darauf hin, dass die Zugehörigkeit zu einer jüngeren Altersgruppe und die Zugehörigkeit zu einer Studentengruppe Risikofaktoren darstellen, die ein höheres Maß an Psychopathologie während der Pandemie prognostizieren (2). Faktoren wie Schulschließungen, eine größere soziale Distanz zu Freunden und ein geringeres familiäres Wohlergehen tragen möglicherweise zum Rückgang der psychischen Gesundheit junger Menschen bei.

Die Rolle von Umweltsensibilität und Resilienz

Nach Theorien zur Umweltsensibilität (3, 4) unterscheiden sich die Menschen in ihrer Empfänglichkeit für positive, aber auch für negative Erfahrungen wie beispielsweise die negativen Folgen einer Pandemie. Mit anderen Worten: Hochsensible Personen könnten eher unter COVID-19-bedingtem Stress leiden als weniger sensible Personen, weil sie sich negativer Erfahrungen im Zusammenhang mit der Pandemie stärker bewusst sind und diese tiefer verarbeiten. Daher können individuelle Unterschiede in der Umweltsensibilität ein wichtiger Faktor für die psychische Gesundheit von Jugendlichen während einer Pandemie sein.

Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Resilienz, d. h. die Fähigkeit, sich von der Krise zu erholen. Resilienz ist das Resultat von Schutzfaktoren, die am Erholungsprozess von Belastungen beteiligt sind (z. B. die Fähigkeit einer Person, Stress gut zu bewältigen, das Vorhandensein sozialer Unterstützung). Mehrere Studien deuten darauf hin, dass Resilienz den Stress während einer Pandemie abmildern kann (5).

Daher ist es möglich, dass sensible Jugendliche mit größerer Wahrscheinlichkeit Belastungen im Zusammenhang mit COVID-19 erfahren, diese aber auch stärker abfedern können, wenn sie über eine größere Resilienz verfügen.

Studienziel und Methoden

In meiner kürzlich durchgeführten Studie (6) wollte ich den Zusammenhang zwischen der von Jugendlichen erlebten Belastung durch COVID-19, der Umweltsensibilität (als Persönlichkeitsmerkmal) und der Resilienz (als die Fähigkeit, wieder zu Kräften zu kommen) untersuchen. Im Oktober 2020 wurden 441 Studenten einer Universität in Tokio für die Teilnahme an dieser Online-Studie über Google-Formulare ausgewählt und gaben Antworten auf drei Skalen.

Die erste Skala misst den Grad der mit COVID-19 verbundenen Belastung in den letzten sieben Tagen. Diese Skala enthält Items wie “Ich mache mir Sorgen, dass ich mich mit dem Virus anstecken könnte” und “Ich mache mir Sorgen, wie ich meine Familie vor dem Virus schützen kann”, wodurch Ängste und traumatische Symptome im Zusammenhang mit COVID-19 ermittelt werden.

Die zweite Skala, die Skala für hochsensible Personen, misst den Grad der Sensibilität gegenüber Umweltreizen. Diese Skala umfasst Items wie z. B. die Frage, ob sie von starken sensorischen Reizen leicht überwältigt werden und ob sie durch Veränderungen in ihrem Leben leicht verwirrt werden, wodurch die Umweltsensibilität als Persönlichkeitsmerkmal gemessen wird.

Die dritte Skala misst den Grad der Resilienz. Diese Skala umfasst Items wie “Ich neige dazu, mich nach schwierigen Zeiten schnell wieder zu erholen” und “Ich brauche nicht lange, um mich von einem stressigen Ereignis zu erholen.”

Schlüsselergebnisse

Die wichtigsten Ergebnisse dieser Studie belegen unsere ursprünglichen Hypothesen (6).

Erstens zeigten hochsensible Jugendliche erwartungsgemäß ein höheres Maß an Belastung in Verbindung mit COVID-19.

Zweitens wiesen belastbarere Jugendliche tendenziell einen geringeren COVID-19-bedingten Leidensdruck auf.

Drittens war das wichtigste Ergebnis, dass der Zusammenhang zwischen Sensibilität und COVID-19-bezogener Belastung geringer war, wenn die Resilienz höher war.

Bedeutung für die Gesellschaft

Hochsensible Jugendliche werden von der COVID-19-Pandemie mit größerer Wahrscheinlichkeit stärker betroffen sein als solche mit geringer Sensibilität. Die Resilienz erweist sich jedoch als besonders günstig für die psychische Gesundheit hochsensibler Jugendlicher.

Mehrere Studien deuten darauf hin, dass hochsensible Jugendliche eher von resilienzfördernden psychoedukativen Interventionen profitieren (7, 8), was bedeutet, dass ihre Resilienz durch psychologische Programme gesteigert werden kann.

Literatur

  1. Taylor, S., Landry, C. A., Paluszek, M. M., Fergus, T. A., McKay, D., & Asmundson, G. J. G. (2020). Development and initial validation of the COVID Stress Scales. Journal of Anxiety Disorders, 72, 102232. doi: 10.1016/j.janxdis.2020.102232
  2. Xiong, J., Lipsitz, O., Nasri, F., Lui, L. M. W., Gill, H., Phan, L., Chen-Li, D., Iacobucci, M., Ho, R., Majeed, A., & McIntyre, R. S. (2020). Impact of COVID-19 pandemic on mental health in the general population: A systematic review. Journal of Affective Disorders, 277, 55-64. doi: 10.1016/j.jad.2020.08.001
  3. Greven, C. U., Lionetti, F., Booth, C., Aron, E. N., Fox, E., Schendan, H. E., … Homberg, J. (2019). Sensory processing sensitivity in the context of environmental sensitivity: A critical review and development of research agenda. Neuroscience and Biobehavioral Reviews, 98, 287-305. doi: 10.1016/j.neubiorev.2019.01.009
  4. Pluess, M. (2015). Individual differences in environmental sensitivity. Child Development Perspectives, 9, 138-143. doi: 10.1111/cdep.12120
  5. Zager Kocjan, G., Kavčič, T., & Avsec, A. (2021). Resilience matters: Explaining the association between personality and psychological functioning during the COVID-19 pandemic. International Journal of Clinical and Health Psychology, 21, 100198. doi: 10.1016/j.ijchp.2020.08.002
  6. Iimura, S. (2021). Sensory-processing sensitivity and COVID-19 stress in a young population: The mediating role of resilience. Personality and Individual Differences. doi: 10.1016/j.paid.2021.111183
  7. Kibe, C., Suzuki, M., Hirano, M., & Boniwell, I. (2020). Sensory processing sensitivity and culturally modified resilience education: Differential susceptibility in Japanese adolescents. PloS One, 15, 1-17. doi:10.1371/journal.pone.0239002
  8. Pluess, M., & Boniwell, I. (2015). Sensory-processing sensitivity predicts treatment response to a school-based depression prevention program: Evidence of vantage sensitivity. Personality and Individual Differences, 82, 40-45. doi: 10.1016/j.paid.2015.03.011