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Wie erhalten hochsensible Menschen ihr Wohlbefinden?

25th March 2022 - Von Becky Black

Über die Autoren

Becky Black befindet sich in der Endphase ihrer Doktorarbeit am Centre for Wellbeing Science der University of Melbourne, Australien. Ihre Forschungsinteressen konzentrieren sich auf individuelle Unterschiede im Wohlbefinden, insbesondere auf die Schnittstelle zwischen Persönlichkeit, Wohlbefinden und Kultur.

Zusammenfassung

In den westlichen Kulturen neigen die laienhaften Vorstellungen und Normen in Bezug auf das Wohlbefinden dazu, den Schwerpunkt auf soziale Aufgeschlossenheit und positive Emotionen mit hohem Erregungsgrad zu legen, aber nicht alle Menschen erleben ihr Wohlbefinden auf diese Weise. In unserer Studie haben wir untersucht, was hochsensible Menschen tun, um ihr Wohlbefinden zu erhalten.

Hintergrund

Auf der ganzen Welt interessieren sich die Menschen zunehmend für Wohlbefinden – was es ist und wie wir es verbessern können. Um das Wohlbefinden zu steigern, müssen wir uns zunächst im klaren sein, wie Wohlbefinden für verschiedene Menschen aussieht.

Obwohl sensible Individuen etwa 20-30% der Allgemeinbevölkerung ausmachen (2), wissen wir sehr wenig darüber, was sie tun, um ihr Wohlbefinden aufzubauen und zu erhalten.

Unsere Studie

Einige hochsensible Menschen, die in westlichen Kulturen leben, erreichen ein hohes Maß an Wohlbefinden (1). Aber wie machen sie das?

In einer ersten Studie (1) führten wir eine Online-Umfrage durch, bei der wir 430 erwachsene australische Teilnehmer baten, eine Reihe von Persönlichkeits- und Wohlbefindensskalen (einschließlich der Highly Sensitive Person-Skala) [HSP] auszufüllen. Wir identifizierten 37 Teilnehmer mit hohem Wohlbefinden sowie hoher Sensibilität.

Wir haben dann 12 dieser Teilnehmer in semi-strukturierten, ausführlichen Interviews über ihr Wohlbefinden interviewt. Die Teilnehmer (1 Mann, 11 Frau) waren zwischen 19 und 69 Jahre alt.

Was waren unsere wichtigsten Erkenntnisse?

Nach der Transkription und Analyse der Interviews kristallisierten sich drei Hauptthemen heraus: 1) Wahrnehmung des Wohlbefindens, 2) Förderer des Wohlbefindens und 3) Barrieren des Wohlbefindens. Siehe Tabelle 1 für die drei Themen und die zugehörigen Dimensionen.

Wahrnehmung von Wohlbefinden

Alle Befragten sprachen davon, dass das Wohlbefinden mehrere Dimensionen hat, z. B. emotionale, geistige, körperliche, spirituelle und soziale/beziehungsbezogene.

Die meisten Teilnehmer erwähnten ausdrücklich, dass sie positive Emotionen mit geringer Erregung bevorzugten, wie z. B. das Gefühl von Ruhe, Entspannung und Frieden. Einer teilte zum Beispiel mit: “Für mich ist es ein eher weniger überschwängliches Glück, sondern vielmehr ein zufriedenes, ruhigeres – und ich fühle mich in meinem Raum und mit mir selbst wohl.”

Alle Teilnehmer merkten an, dass sie gerne ein Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Bereichen des Wohlbefindens hätten, wie “negative Emotionen, positive Emotionen, Gefühle der Verbundenheit mit anderen Menschen”.

Förderer des Wohlbefindens

Alle Befragten gaben an, dass regelmäßige Einsamkeitserfahrungen für ihr Wohlbefinden entscheidend sind, und betonten, dass “Zeit für sich selbst sehr wichtig ist”. Die meisten Teilnehmer suchten aktiv die Zeit für sich allein und bauten diese in ihren Alltag ein.

Die meisten berichteten, wie die Emotionsregulierung zu ihrem Wohlbefinden beigetragen hat, beispielsweise indem sie sich bewusst Zeit nahmen, um auf negativen Stress und negative Gefühle zu reagieren, oder indem sie ihren inneren Dialog neu gestalteten.

Die meisten Befragten sprachen von Selbsterkenntnis und Selbstakzeptanz und davon, wie wichtig es ist, die eigenen Bedürfnisse in Bezug auf das Wohlbefinden zu erkennen. Zum Beispiel: “Ich bin mir der Stressempfindungen in meinem Körper viel bewusster”. Ein anderer bemerkte, dass ein Teil des Wohlbefindens darin bestehe, “zu wissen, wann ich Hilfe brauche und sie anzufordern”.

Alle Teilnehmer waren der Meinung, dass Selbstmitgefühl wichtig für ihr Wohlbefinden sei, z. B. durch Selbstgespräche wie “Ich kann mir Fehler verzeihen”. Eine bemerkte, dass Selbstmitgefühl dazu beitrug, ihren Stress abzubauen: “Wenn du die ganze Zeit hart zu dir selbst bist, dann kannst du nie nicht gestresst sein.”

Alle Befragten gaben an, dass regelmäßige kontemplative Praktiken (wie Meditation oder Achtsamkeit) ein wesentlicher Bestandteil ihres Wohlbefindens sind. Dies geschah in Form eines täglichen Spaziergangs und der Verbindung mit der Natur, Yoga oder Tai Chi, dem Lesen eines Buches oder handwerklichen Tätigkeiten.

Die meisten Teilnehmer wiesen ausdrücklich darauf hin, dass enge, unterstützende Beziehungen zu ihrem Wohlbefinden beitrugen, und viele erzählten, dass sie einen kleinen, ausgewählten Freundeskreis haben und es vorziehen, Zeit “mit meinen Freunden unter vier Augen” zu verbringen.

Barrieren des Wohlbefindens

Die Fähigkeit, “Nein” zu Anfragen zu sagen, die ihre Zeit in Anspruch nehmen, war ein häufiges Problem der Befragten. Die Hälfte von ihnen berichtete, wie sie ihre Fähigkeiten in diesem Bereich weiter ausbauen und sich im Laufe der Zeit verbessern konnten.

Ein Beispiel: “Ich verwende einfach die Löffeltheorie. Dabei wacht man jeden Morgen auf und hat so viele Löffel, dass man vielleicht einen Löffel braucht, um zu duschen, und einen Löffel, um eine bestimmte Aufgabe zu erledigen. Und jeden Morgen, wenn man aufwacht, hat man nicht immer die gleiche Anzahl von Löffeln. Also habe ich gelernt, zu sagen, dass ich keine Löffel dafür habe.

Was bedeutet das?

Unsere Studie deutet darauf hin, dass hochsensible Menschen ein hohes Maß an Wohlbefinden erfahren können, dass es für sie aber besonders wichtig ist, sich aktiv für regelmäßige Abgeschiedenheit zu entscheiden. Unsere Teilnehmer stellten auch fest, dass Selbsterkenntnis, Selbstakzeptanz, die Verbindung mit der Natur und kontemplative Praktiken ihrem Wohlbefinden zuträglich waren.

Die Ergebnisse unserer Studie legen nahe, dass hochsensible Menschen ihr Wohlbefinden durch die folgenden Praktiken aufbauen und erhalten können:

  • Regelmäßige Perioden der Einsamkeit genießen
  • Stärkung der Selbstwahrnehmung (z. B. sich auf die eigenen Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen einstellen und diese aufmerksam beobachten)
  • Selbstakzeptanz (z. B. Schätze dein ganzes Selbst, unabhängig von Leistungen oder Fehlern)
  • Selbstmitgefühl (sprich z.B. mit dir selbst, als würdest du mit einem besten Freund sprechen)
  • Eine Form der kontemplativen Praxis (z. B. Achtsamkeit, Meditation, Tai Chi)
  • Verbindung mit der Natur (z. B. Wandern, Sport in Wäldern oder am Strand, Schwimmen in Seen oder im Meer usw.)
  • Emotionale Selbstregulierung (z. B. eine Pause zwischen dem Fühlen einer Emotion und dem Handeln einlegen)
  • Ein Gefühl für den Sinn des Lebens (z. B. die Verbindung mit dem eigenen “Warum”)
 

Tabelle 1

In den Interviews ermittelte Schlüsselthemen und -dimensionen

 

Schlüsselthemen

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Dimensionen

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Wahrnehmung von Wohlbefinden Gleichgewicht
Wichtige Dimensionen des Wohlbefindens
Wahrnehmung von Wohlbefinden
Körperliches Wohlbefinden
Spirituelles Wohlbefinden
Förderer des Wohlbefindens Verbindung mit der Natur
Emotionale Selbstregulation
Tägliche Praktiken des Wohlbefindens
Positive Emotionen mit geringer Intensität
Bedeutung
Meditation/Achtsamkeit
Psychisches Wohlbefinden
Musik
Optimismus
Persönliches Wachstum
Positive Wahrnehmung von SPS
Positive Beziehungen
Selbstakzeptanz
Selbstwahrnehmung
Selbstfürsorge
Selbstmitgefühl
Kleiner Freundeskreis
Einsamkeit
Wöchentliche Praktiken des Wohlbefindens
Förderer des Wohlbefindes
Barrieren des Wohlbefindens Herausforderungen für das Wohlbefinden
Zu bearbeitende Dimensionen
“Nein” sagen
Sensorische Stimulation
Sonstige Faktoren Vergangene Depressionen/Angstzustände/Traumata
Extraversion und SPS
 

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Kenntnisse von SPS

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Literatur

  1. Schwarz, B. A. & Kern, M. L. (2020). Persönlichkeit und Gedeihen: Erforschung der sensorischen Verarbeitung Sensibilität und Wohlbefinden in einer australischen erwachsenen Bevölkerung[Unpublished manuscript].
  2. Greven, C. U., Lionetti, F., Booth, C., Aron, E. N., Fox, E., Schendan, H. E., Pluess, M., Bruining, H., Acevedo, B. P., Bijttebier, P., & Homberg, J. R. (2019). Sensorische Verarbeitungssensitivität im Kontext der Umweltsensitivität: Eine kritische Überprüfung und Entwicklung der Forschungsagenda. Neuroscience & Biobehavioral Reviews, 98 (März), 287-305. https://doi.org/10.1016/j.neubiorev.2019.01.009