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„Niemand mag mich oder will mit mir spielen!“ Fühlen hochsensible Jugendliche Peer-Akzeptanz und -Ablehnung intensiver?

5th August 2024 - Von Danni Liu & Dr. Anouk van Dijk

Über die Autoren

Danni Liu, Doktorandin an der Universität Utrecht, untersucht individuelle Unterschiede in der Sensibilität von Jugendlichen gegenüber Peer-Feedback sowie deren Beziehungen zu Gleichaltrigen. Dr. Anouk van Dijk, Assistenzprofessorin an der Universität Amsterdam, untersucht die Ursachen und die Behandlung von aggressiven Verhaltensproblemen bei Jugendlichen.

Zusammenfassung

Gleichaltrige spielen eine entscheidende Rolle im sozialen Leben von Jugendlichen, jedoch können Peererfahrungen einige Jugendliche stärker beeinflussen als andere. In einer Studie mit 1.207 Jugendlichen haben wir festgestellt, dass Jugendliche mit hoher Sensibilität sich besser fühlten, nachdem sie sich die Akzeptanz durch Gleichaltrige vorgestellt hatten, während sie sich schlechter fühlten, nachdem sie sich die Ablehnung durch Gleichaltrige vorgestellt hatten, im Vergleich zu ihren weniger sensiblen Altersgenossen.

Hintergrund und Ziele der Studie

Gleichaltrige spielen eine wichtige Rolle im sozialen Leben von Jugendlichen. Kinder interagieren täglich mit Gleichaltrigen und können sowohl die Höhen, wie das Teilnehmen an Gruppenspielen, als auch die Tiefen, wie Ausgrenzung oder Ablehnung, erleben. Zum Beispiel könnte sich ein 11-Jähriger, der von seinen Gleichaltrigen abgelehnt wurde, denken: „Niemand mag mich oder will mit mir spielen!“ Ein solcher schmerzhafter Gedanke kann tiefgreifende Auswirkungen haben.
Forschung und Theorie legen nahe, dass hochsensible Kinder stärker von ihren Erfahrungen, sowohl positiven als auch negativen, betroffen sind (1, 2, 3). Es ist jedoch unklar, ob diese erhöhte Sensibilität auch auf Interaktionen mit Gleichaltrigen, wie Akzeptanz oder Ablehnung durch Gleichaltrige, zutrifft.
Um dies zu untersuchen, entwarfen wir ein Experiment, um Erfahrungen von peer-Akzeptanz und -Ablehnung zu simulieren, und prüften, ob hochsensible Jugendliche stärker auf beide Arten von Peererfahrungen reagieren.  

Studienaufbau und Methode

Unsere Studie (4) umfasste 1.207 chinesische Jugendliche im Alter von 8,75 bis 15,17 Jahren, die einen Fragebogen auf Papier in ihren Klassenräumen ausfüllten. Zunächst vervollständigten die Teilnehmer die chinesische Version der 12-Item-Skala für hochsensible Kinder (5), die die Sensibilität mit Items wie „Ich finde es unangenehm, wenn viel auf einmal passiert“ misst. Anschließend berichteten sie über ihre aktuelle Stimmung und notierten sowohl positive Gefühle, wie Freude, als auch negative, wie Traurigkeit.
Die Teilnehmer lasen dann vier unterschiedliche Szenarien über alltägliche Schulinteraktionen mit Gleichaltrigen und stellten sich vor, wie sie sich in diesen Situationen fühlten. Sie wurden zufällig entweder einer Akzeptanz- oder einer Ablehnungsbedingung zugewiesen, wobei jede Geschichte ähnlich begann, aber mit entweder der Akzeptanz oder der Ablehnung durch Gleichaltrige endete. Beispiele umfassen das Willkommen oder die Ablehnung bei einem Gruppenprojekt sowie das Überhören von Mitschülern, die entweder positiv oder negativ über sie sprachen. Nach der Vorstellung dieser Szenarien bewerteten die Teilnehmer erneut ihre Stimmung, was einen Vergleich zwischen ihrer Stimmung vor und nach der Aufgabe ermöglichte. Am Ende wurde eine „glückliche“ Geschichte präsentiert, damit die Teilnehmer das Experiment in guter Stimmung verließen.
Zusätzlich berichteten die Betreuer einer Teilgruppe von 480 Jugendlichen ebenfalls über die Sensibilität der Jugendlichen mit Items wie „Mein Kind findet es unangenehm, wenn viel auf einmal passiert.“  

Hauptergebnisse

Veränderte sich die Stimmung von Jugendlichen, nachdem sie sich vorgestellt hatten, von Gleichaltrigen akzeptiert oder abgelehnt zu werden?

Nach der Leseübung zeigten Jugendliche, die sich Akzeptanz durch Gleichaltrige vorstellten, eine Verbesserung ihrer Stimmung. Im Gegensatz dazu erlebten Jugendliche, die sich Ablehnung vorstellten, eine Verschlechterung ihrer Stimmung.

Reagierten sensiblere Jugendliche stärker auf das vorgestellte Akzeptanz- und Ablehnungserlebnis?

Sensiblere Jugendliche reagierten stärker. Tatsächlich zeigte sich, dass je höher die Jugendlichen sich selbst in Bezug auf ihre Sensibilität bewerteten, desto besser ihre Stimmung nach der Vorstellung von Akzeptanz und desto schlechter ihre Stimmung nach der Vorstellung von Ablehnung war. Diese Ergebnisse traten jedoch nur auf, wenn die selbstberichtete Sensibilität verwendet wurde und nicht bei der von Eltern berichteten Sensibilität.

Warum besteht diese Diskrepanz zwischen selbstberichteter und elternberichteter Sensibilität?

Es könnten zwei mögliche Erklärungen vorliegen. Erstens könnten Eltern die Sensibilität der Jugendlichen nicht genau beobachten, da Jugendliche zunehmend Unabhängigkeit von ihren Eltern suchen, soziale Netzwerke außerhalb der Familie bilden und Geheimnisse vor ihren Eltern haben (6, 7). Zweitens könnten Jugendliche ihre Reaktionen auf verschiedene Erfahrungen nicht offen zeigen, weil sie gelernt haben, mit diesen Erfahrungen selbst umzugehen, wodurch ihre Sensibilität für die Eltern weniger sichtbar wird.  

Allgemeine Schlussfolgerungen und Implikationen

Unsere Studie zeigte, dass sensiblere Jugendliche nicht nur stärker auf Peer-Ablehnung, sondern auch auf Peer-Akzeptanz reagieren. Dieses Ergebnis unterstützt die Idee, dass Hochsensibilität mit einer stärkeren Reaktion auf sowohl negative als auch positive Erfahrungen verbunden ist.
Unsere Ergebnisse haben praktische Implikationen für die Unterstützung von Jugendlichen in Schulen. Sie legen nahe, dass Jugendliche mit höheren Sensibilitätsniveaus stärker von schulischen Interventionen profitieren könnten, die positive Interaktionen unter Gleichaltrigen fördern und negative Interaktionen verhindern, oder von Interventionen und Beratungen, die ihnen helfen, mit negativen Interaktionen umzugehen.

Literatur

  1. Lionetti, F., Aron, E. N., Aron, A., Klein, D. N., & Pluess, M. (2019). Observer-rated environmental sensitivity moderates children’s response to parenting quality in early childhood. Developmental Psychology, 55(11), 2389-2402. doi:10.1037/dev0000795]
  2. Slagt, M., Dubas, J. S., van Aken, M. A. G., Ellis, B. J., & Deković, M. (2018). Sensory processing sensitivity as a marker of differential susceptibility to parenting. Entwicklungspsychologie, 54(3), 543–558. https://doi.org/10.1037/dev0000431
  3. Greven, C. U., Lionetti, F., Booth, C., Aron, E. N., Fox, E., Schendan, H. E., Pluess, M., Bruining, H., Acevedo, B., Bijttebier, P., & Homberg, J. (2019). Sensory Processing Sensitivity in the context of Environmental Sensitivity: A critical review and development of research agenda. Neuroscience Biobehavioral Reviews, 98, 287–305. https://doi.org/10.1016/j.neubiorev.2019.01.009
  4. Liu, D., Van Dijk, A., Deković, M., Dubas, J. (2023). Are (Pre)adolescents Differentially Susceptible to Experimentally Manipulated Peer Acceptance and Rejection? A Vignette-Based Experiment. International Journal of Behavioral Development, 47, 486-496. https://doi.org/10.1177/01650254231198852
  5. Liu, D., Van Dijk, A., Lin, S., Wang Z., Deković, M., Dubas, J. (2023). Psychometric Properties of the Chinese Version of the Highly Sensitive Child Scale across Age Groups, Gender, and Informants. Child Indicators Research, 16, 1755-1780. https://doi.org/10.1007/s12187-023-10032-2
  6. De Los Reyes, A., Kazdin, A. E. (2005). Informant Discrepancies in the Assessment of Childhood Psychopathology: A Critical Review, Theoretical Framework, and Recommendations for Further Study. Psychological Bulletin, 131(4), 483–509. https://doi.org/10.1037/0033-2909.131.4.483
  7. Frijns, T., Finkenauer, C., Keijsers, L. (2013). Shared secrets versus secrets kept private are linked to better adolescent adjustment. Journal of Adolescence, 36(1), 55–64. https://doi.org/10.1016/j.adolescence.2012.09.005