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Sensible Jugendliche und der Übergang zur Oberstufe

14th September 2021 - Von Shuhei Iimura

Über die Autoren

Dr. Shuhei Iimura ist Postdoktorand an der Universität von Tokio. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören unterschiedliche Anfälligkeit und posttraumatisches Wachstum in der Adoleszenz. Seine aktuelle Forschung umfasst Längsschnittstudien, um zu untersuchen, wie sich hochsensible Jugendliche an Veränderungen im schulischen Umfeld anpassen.

Zusammenfassung

Stellt der Übergang von der Mittelschule zur Oberstufe ein Entwicklungsrisiko für sensible Jugendliche dar? Unsere Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass sensible Jugendliche über ein gesteigertes sozio-emotionales Wohlbefinden berichten, wenn sie positive Erfahrungen im schulischen Umfeld machen.

Hintergrundinformationen

Versuchen Sie, sich an Ihre Kindheit zu erinnern. Wie haben Sie den Übergang von der Mittelstufe zur Oberstufe erlebt? Wie Sie sich vielleicht erinnern, sind Schulwechsel in vielerlei Hinsicht mit Veränderungen der Umgebung verbunden. Zum Beispiel die Neubildung von Freundeskreisen, die Verpflichtung, neue Schulregeln zu befolgen, und die Veränderung des Schulklimas. Beim Wechsel von einer Schule zur anderen kann das neue Umfeld besser oder schlechter sein als zuvor.

Mehrere Entwicklungsforscher haben festgestellt, dass der Übergang von der Mittelschule zur Oberschule die sozio-emotionale Anpassung von Jugendlichen negativ beeinflussen kann (1). So neigen einige Schüler nach dem Übergang zur High School zu verstärkten Depressionen und Angstsymptomen, während andere ein geringeres Selbstwertgefühl und ein geringeres Zugehörigkeitsgefühl zur Schule haben.

Da jedoch davon ausgegangen wird, dass die Sensibilität für Umwelteinflüsse von Person zu Person unterschiedlich ist, wie es die Theorie der differentiellen Sensibilität nahe legt (2), könnten sensible Jugendliche beim Wechsel in ein positives Schulumfeld positive Ergebnisse in ihrer Entwicklung zeigen. Es gibt jedoch keine Studien, die die Rolle der Sensibilität im Zusammenhang mit Schulwechseln untersucht haben.

Studienziel und Methoden

In unserer Studie wurde untersucht, wie die Eigenschaft der Sensibilität bei Jugendlichen, die mit der Skala “Highly Sensitive Child” gemessen wurde, das Verhältnis zwischen der Veränderung des schulischen Umfelds nach dem Schulwechsel und dem sozial-emotionalen Wohlbefinden beeinflusst (3).

Wir sammelten Daten von 412 japanischen Jugendlichen zu zwei Zeitpunkten, vor und nach dem Wechsel in die Oberstufe. Wir haben die Sensibilität der Schüler, die von ihnen wahrgenommene Veränderung des schulischen Umfelds und ihr sozio-emotionales Wohlbefinden gemessen.

Mit dem Fragebogen zur Messung der Sensibilität wurde untersucht, ob die Schüler nervös werden, wenn sie in kurzer Zeit viel Arbeit zu erledigen haben, ob sie sich bei lauten Geräuschen unwohl fühlen und ob sie angenehme Geschmäcker und Gerüche mögen.

Mit dem Fragebogen zur Untersuchung der wahrgenommenen Veränderungen im schulischen Umfeld wurde gemessen, inwieweit sich die Beziehungen zu Lehrern und Freunden, das Klassenklima und die Schulregeln nach dem Eintritt in die Oberstufe im Vergleich zur Mittelstufe zum Besseren oder Schlechteren verändert haben.

Das sozio-emotionale Wohlbefinden wurde bewertet, indem die Schüler gefragt wurden, ob sie sich entspannt und fröhlich fühlten.

Schlüsselergebnisse

Unsere Studie (3) ergab, dass sensible Jugendliche beim Übergang zur Obstufe ein höheres sozio-emotionales Wohlbefinden hatten, wenn sie das schulische Umfeld als positiv verändert wahrnahmen. Andererseits zeigten weniger sensible Jugendliche keine signifikanten Veränderungen ihres sozio-emotionalen Wohlbefindens vor und nach dem Übergang in die Oberstufe, unabhängig von der Qualität des schulischen Umfelds.

Diese Ergebnisse sind mit Vorsicht zu interpretieren, da sie sich auf das japanische Bildungssystem beziehen. Sie deuten jedoch darauf hin, dass sensible Jugendliche, die traditionell als ” verletzlich ” galten, auch diejenigen sind, die am ehesten von positiven Veränderungen im schulischen Umfeld profitieren. Dieser positive Effekt der Sensibilität wird als “Vantage Sensitivity” bezeichnet (4).

Wichtig ist, dass es eine zunehmende Zahl von Studien gibt, die Beweise für eine solche Vantage Sensitivity liefern (5, 6). So zeigten die Untersuchungen von Pluess et al. beispielsweise, dass sensible Jugendliche im Vergleich zu weniger sensiblen Jugendlichen eher von schulischen Depressionspräventionsprogrammen und Maßnahmen gegen Mobbing profitieren (5).

Bedeutung für die Gesellschaft

Ist der Übergang zur Oberstufe ein Risiko für sensible Jugendliche? Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass dies nicht immer der Fall ist.

Sensible Jugendliche können sich nach dem Schulwechsel gut entwickeln, sofern sie die Veränderungen in ihrem schulischen Umfeld als positiv wahrnehmen. Wie in der Metapher der Orchidee (7) angedeutet, werden sie wunderschön blühen, wenn Betreuer und Erzieher den Kindern ein positives Umfeld bieten.

Literatur

  1. Benner, A. D. (2011). The transition to high school: Current knowledge, future directions. Educational Psychology Review, 23, 299-328. doi: 10.1007/s10648-011-9152-0
  2. Belsky, J., & Pluess, M. (2009). Beyond diathesis stress: Differential susceptibility to environmental influences. Psychological Bulletin, 135, 885-908. doi: 10.1037/a0017376
  3. Iimura, S. & Kibe, C. (2020). Highly sensitive adolescent benefits in positive school transitions: Evidence for vantage sensitivity in Japanese high-schoolers. Developmental Psychology, Advance online publication, doi: 10.1037/dev0000991
  4. Pluess, M., & Belsky, J. (2013). Vantage sensitivity: Individual differences in response to positive experiences. Psychological Bulletin, 139, 901-916. doi: 10.1037/a0030196
  5. Pluess, M., & Boniwell, I. (2015). Sensory-processing sensitivity predicts treatment response to a school-based depression prevention program: Evidence of vantage sensitivity. Personality and Individual Differences, 82, 40-45. doi: 10.1016/j.paid.2015.03.011
  6. Nocentini, A., Menesini, E., & Pluess, M. (2018). The Personality trait of environmental sensitivity predicts children’s positive response to school-based antibullying intervention. Clinical Psychological Science, 6, 848-859. doi: 10.1177/2167702618782194
  7. Boyce, W. T., & Ellis, B. J. (2005). Biological sensitivity to context: I. An evolutionary-developmental theory of the origins and functions of stress reactivity. Development and Psychopathology, 17, 271-301. doi: 10.1017/S0954579405050145