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Ein überreizter Konsument in einer hochgradig visuellen Welt: das HSP-Merkmal

4th July 2024 - Von Ana Cláudia Amaro, Luisa M. Martinez, Filipe R. Ramos, Karla Menezes und Sílvio Menezes

Über die Autoren

Ana Cláudia Amaro hat einen Master-Abschluss in Marketing von IPAM Lissabon, Portugal, und ist derzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin. Ihre Forschungsinteressen umfassen Konsumentenverhalten, Neuromarketing und E-Commerce.

Luisa M. Martinez ist Assistenzprofessorin für Marketing am IPAM Lissabon, Portugal. Sie promovierte in Management an der Universidade Europeia, Portugal. Ihr Hauptforschungsinteresse gilt Farben (angewandt auf Organisations- und Konsumentenverhalten) und in jüngster Zeit hat sie sich auf die Sensitivitätsforschung konzentriert. Da sie aus der Architektur kommt, ist ihr Forschungsansatz interdisziplinär.

Filipe R. Ramos ist eingeladener Assistenzprofessor an der Faculdade de Ciências da Universidade de Lisboa. Seine Forschungstätigkeit konzentriert sich auf die Bereiche der Datenanalyse und der mathematischen Modellierung (insbesondere in Prognosemethoden), die auf die Sozialwissenschaften angewendet werden. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf Machine Learning/Deep Learning Modellen.

Karla Menezes ist Forscherin und Spezialistin für Consumer Neuroscience, Neuromarketing und Consumer Psychology. Sie ist außerordentliche Professorin am Polytechnischen Institut von Setúbal in Portugal und hat einen Master in Marketing. Sie teilt ihre Leidenschaft für die Erforschung menschlichen Verhaltens, einschließlich der Entscheidungsmotivation auf Gehirnebene, auf Konferenzen, Seminaren und Schulungsprogrammen.

Sílvio Menezes ist Forscher im Bereich Business Intelligence und organisatorische Leistung und blickt auf eine lange Karriere bei der Entwicklung von IT-basierten Lösungen für kleine, mittlere und große Unternehmen in verschiedenen Branchen zurück. Er ist eingeladener Professor am IPAM Lissabon, Portugal, und hat einen Master in Produktionstechnik und einen Bachelor in Wirtschaftsinformatik.

Zusammenfassung

Die Forschung zeigt, dass Menschen aufgrund von Unterschieden in ihrer Persönlichkeit unterschiedlich auf ähnliche Reize reagieren. Diese Forschungsstudie konzentriert sich darauf, wie Menschen mit einer höheren Empfindlichkeit gegenüber externen Reizen – gemeinhin als hochsensible Personen (HSPs) bezeichnet – reagieren, wenn sie Werbung mit übermäßigen visuellen Reizen (d. h. Farbe, dynamische Bilder, komplexe Layouts) ausgesetzt sind.

Hintergrund und Ziele des Studiums

Aron und Aron (1) vermuten, dass das zentrale Nervensystem einer hochsensiblen Person (HSP) durch eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber körperlichen, emotionalen und umweltbedingten Reizen gekennzeichnet ist. Dieses Merkmal wurde als Sensory Processing Sensitivity (SPS) definiert, was sich in einer erhöhten emotionalen Sensibilität, einer tieferen Reaktion auf äußere und innere Reize und einem komplexen inneren Selbst äußert (2). Es wird angenommen, dass HSPs anfälliger für Überforderung sind und sich leicht unwohl fühlen können, wenn sie intensiven Lichtern, Farben, Geräuschen oder bestimmten Körperempfindungen ausgesetzt sind.

Obwohl die Forschung an Menschen mit hoher Sensibilität deutlich zugenommen hat (3), ist ihre Reaktion als Verbraucher auf verschiedene Arten von Werbung unseres Wissens nach unbekannt. Da bildbasierte soziale Plattformen in den letzten Jahren an Anerkennung gewonnen haben (4,5), ist es von entscheidender Bedeutung, Forschung zur visuellen Wahrnehmung unter Berücksichtigung des HSP-Publikums durchzuführen. Die Annahme, dass mindestens 20% der Bevölkerung hochsensibel sind (1), hat für eine solche Forschung eine große Relevanz.

Ziel dieser Studie war es daher zu verstehen, ob der Grad der Sensibilität der Befragten (als potentielle Konsumenten) einen moderierenden Effekt auf ihre Einstellung zu Werbung hat. Wir untersuchten, ob die Einstellung zu Werbung durch die Dynamik, Komplexität und Farbe der Werbung beeinflusst wird und ob sich HSPs von Nicht-HSPs in ihrer Einstellung zu den spezifischen Merkmalen der Werbung unterscheiden.

Methodologie

Es wurden zwei unterschiedliche methodische Ansätze in Betracht gezogen: Studie 1 zeigte einen experimentellen Designansatz mit Hilfe eines Online-Fragebogens (insgesamt 149 Teilnehmer) und Studie 2 beinhaltete biometrische Antworten mit einem Gehirnwellen-Lesegerät (Delta-, Theta-, Alpha- und Beta-Gehirnwellen werden berücksichtigt), um die körperliche Reaktion auf die Visualisierung der Werbung zu beurteilen (18 Teilnehmer).

Die HSP-Skala (1) wurde angewendet, um das Empfindlichkeitsniveau der Teilnehmer zu beurteilen, und drei Kategorien visueller Reize (siehe Abbildung 1) wurden als unabhängige Variablen verwendet: Farbe (chromatisch vs. achromatisch), Dynamik (dynamisch vs. statisch) und Layout (komplex vs. minimalistisch).

Bei den visuellen Reizen handelte es sich um digital manipulierte fiktive Reisewerbung, und jede Variable wurde in einer anderen Umgebung (Stadt, wilde Natur und Strand) präsentiert, um eine von persönlichen Vorlieben unabhängige Haltung aufrechtzuerhalten. Die Einstellung zur Werbung wurde anhand einer von Cho entwickelten Skala (6) bewertet. Die Skala umfasst 8 Items, die mit einer 5-stufigen Likert-Skala gemessen wurden (1 = stimme überhaupt nicht zu bis 5 = stimme voll und ganz zu): 1. Diese Anzeige ist irritierend; 2. Ich mag diese Anzeige; 3. Diese Anzeige hat gute visuelle Effekte; 4. Diese Anzeige ist ein Blickfang; 5. Diese Anzeige ist ärgerlich; 6. Diese Anzeige ist informativ; 7. Diese Anzeige erregt meine Aufmerksamkeit; 8. Ich würde mich freuen, diese Anzeige wieder zu sehen.

Wichtigste Ergebnisse

Die Ergebnisse liefern empirische Belege dafür, dass Menschen mit höherer Sensibilität eine positivere Einstellung zu Werbung mit weniger visuellen Reizen haben. Darüber hinaus werden Anzeigen mit höherer Komplexität oder Dynamik von HSPs tendenziell negativ wahrgenommen. Insgesamt neigen Verbraucher, die HSPs sind, dazu, eine positivere Einstellung zu statischen (vs. dynamischen), minimalen (vs. komplexen) und chromatischen (vs. achromatischen) Anzeigen zu haben.

Wir kommen zu dem Schluss, dass die Auswahl der in der Werbung präsentierten Elemente von äußerster Bedeutung ist, da sie sich auf die Einstellung der Verbraucher auswirkt, insbesondere für HSPs. Marken müssen sich der Bedürfnisse und Eigenschaften ihrer Zielgruppen bewusst sein, um bessere Ergebnisse zu erzielen.

Wichtigste Beiträge

Das Ziel dieser Studie war es, ein besseres Verständnis von HSPs als Verbraucher zu vermitteln. In Anbetracht unserer Ergebnisse gibt es deutliche Unterschiede zwischen dem Verhalten und den Reaktionen von HSPs im Vergleich zu Nicht-HSPs. Unsere Untersuchungen deuten darauf hin, dass HSPs als eine bestimmte “Verbraucherkategorie” mit unterschiedlichen Präferenzen in der Werbung angesehen werden.

In der Praxis kann es für Marken und Unternehmen als wertvoll angesehen werden, ihre Werbung an leicht überreizte Kunden anzupassen, da wir in einem digitaleren und damit visuell stimulierenderen Umfeld leben, in dem Online-Anzeigen auftauchen und in neue Höhen steigen.

Anregungen für zukünftige Forschung

In Anbetracht der Tatsache, dass sich die in dieser Studie verwendeten fiktiven Anzeigen auf den Tourismus konzentrierten, kann die gleiche experimentelle Methode auf andere Bereiche angewendet werden, um ein besseres Verständnis und einen Vergleich zwischen HSP- und Nicht-HSP-Verbrauchern zu ermöglichen. Darüber hinaus sollten andere Aspekte von Online-Werbung, wie z. B. Farbsättigung, Helligkeit und sogar Musik oder Ton, bei der weiteren Forschung berücksichtigt werden.

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Abbildung 1. Bilder (a) und b) Darstellung der Anzeigengruppe (Studie 1 und Studie 2)

Literatur

  1. Aron E. N., & Aron A. (1997). Sinnesverarbeitende Sensibilität und ihre Beziehung zu Introvertiertheit und Emotionalität. Zeitschrift für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie, 73(2), 345-368. https://psycnet.apa.org/doi/10.1037/0022-3514.73.2.345
  2. Aron, E. N., Aron, A., & Jagiellowicz, J. (2012). Sensorische Verarbeitungsempfindlichkeit: Ein Überblick über die Evolution der biologischen Responsivität. Zeitschrift für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie, 16, 262-282. https://doi.org/10.1177/1088868311434213
  3. Trå, H. V., Volden, F., & Watten, R. G. (2022). Hohe Sensitivität: Faktorstruktur der hochsensitiven Personenskala und Persönlichkeitsmerkmale in einer Gruppe mit hoher und niedriger Sensitivität. Zwei geschlechtsspezifische Studien. Nordische Psychologie, 1-23. https://doi.org/10.1080/19012276.2022.2093778
  4. Choi, T. R., & Sung, Y. (2018). Instagram versus Snapchat: Selbstdarstellung und Datenschutzbedenken in den sozialen Medien. Telematik und Informatik, 35(8), 2289-2298. https://doi.org/10.1016/j.tele.2018.09.009
  5. Ungerman, O., Dědková, J., & Gurinová, K. (2018). Die Auswirkungen von Marketinginnovationen auf die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen im Kontext von Industrie 4.0. Zeitschrift für Wettbewerbsfähigkeit, 10(2), 132-148. DOI: 10.7441/joc.2018.02.09
  6. Amaro, A. C., Martinez, L. M., Ramos, F. R., Menezes, K., & Menezes, S. (2023). Ein überreizter Konsument in einer hochgradig visuellen Welt: die moderierende Wirkung des hochsensiblen Personenmerkmals auf die Einstellung zur Werbung. Electronic Commerce Research, 23(3), 1429-1458. https://doi.org/10.1007/s10660-022-09639-47. Cho, C. -H. (1999). Wie Werbung im WWW funktioniert: Modifiziertes Ausarbeitungswahrscheinlichkeitsmodell. Zeitschrift für aktuelle Fragen und Forschung in der Werbung, 21(1), 34-50. DOI: 10.1080/10641734.1999.10505087