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Sensible Heranwachsende mit Migrationshintergrund profitieren verstärkt von einer Intervention zur Förderung der kulturellen Identitätsentwicklung

2nd May 2024 - Von Chiara Ceccon & Dr. Ughetta Moscardino (Korrespondierende Autorin)

Über die Autoren

Chiara Ceccon ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Padua, Italien. Ihr Forschungsinteresse gilt der kulturellen Identitätsbildung im Jugendalter, der psychischen Gesundheit und der Eingliederung von Migrantengruppen sowie der Bedeutung der Umweltsensibilität für die Reaktion des Menschen auf Interventionen.

Ughetta Moscardino ist außerordentliche Professorin für Entwicklungspsychologie an der Universität Padua, Italien. Ihre Forschungsarbeiten befassen sich mit der kulturübergreifenden psychischen Gesundheit von Kindern und Familien, mit Einwanderung und Akkulturationsprozessen sowie mit Resilienz und Schutzfaktoren in Risikogruppen.

Zusammenfassung

In einer randomisierten, kontrollierten Studie, die in Italien durchgeführt wurde, fanden wir heraus, dass eine 8-wöchige schulbasierte Intervention, die auf die Entwicklung der kulturellen Identität abzielte (d. h. das Identitätsprojekt), die Identitätserforschung von Jugendlichen wirksam förderte. Hochsensible Jugendliche mit Migrationshintergrund profitierten am stärksten von der Intervention, was die Hypothese der Hochsensibilität bestätigt.

The Identity Project in Italien: Was, warum und wie

Heranwachsende auf der ganzen Welt stehen vor der Herausforderung, sich ihrer kulturellen Identität, d. h. ihrer Überzeugungen, Einstellungen und Gefühle in Bezug auf ihre kulturelle(n) Herkunft(en), bewusst zu werden und sich Klarheit darüber zu verschaffen (1,2) Die Unterstützung dieses Prozesses ist für die Förderung der psychischen Gesundheit von Jugendlichen, der interkulturellen Kompetenz und der Beachtung der Diversität von wesentlicher Bedeutung (3).

The Identity Project ist eine schulbasierte, achtwöchige Intervention, die in den Vereinigten Staaten entwickelt wurde und Jugendlichen Instrumente und Strategien an die Hand gibt, um ihre kulturelle Identität zu erkunden und besser zu verstehen (4). In dieser registrierten Studie untersuchten wir, ob a) das Identity Project in Italien, einer multikulturellen Gesellschaft, die eine wichtige Anlaufstelle für Zuwanderer in der Europäischen Union darstellt, wirksam ist und (b) ob die Sensibilität für Umwelteinflüsse und den Migrationshintergrund die Ergebnisse der Intervention beeinflusst.

An dem Forschungsprojekt nahmen 747 Jugendliche (Durchschnittsalter = 15 Jahre) aus sechs Schulen der Sekundarstufe II in Norditalien teil. Die Klassen wurden nach dem Zufallsprinzip der Interventionsgruppe oder einer Kontrollgruppe mit Warteliste zugewiesen. Etwa 30 % der Stichprobe hatten einen Migrationshintergrund, wobei die Schüler aus 55 verschiedenen Ländern stammten. Die Teilnehmer füllten zu drei Zeitpunkten Selbstauskünfte aus: eine Woche vor der Intervention (Pretest), 1 Woche (Posttest) und 5 Wochen nach Ende der Intervention (Follow-up).

In Übereinstimmung mit dem ursprünglichen theoretischen Modell wurde erwartet, dass die Teilnehmer der Interventionsgruppe von der Voruntersuchung bis zur Nachuntersuchung ein höheres Maß an Exploration (Suche, Beobachtung und Reflexion über die eigene Identität und Herkunft) an den Tag legen würden, was wiederum mit einer verbesserten Auflösung (Bewusstsein und Klarheit in Bezug auf die Bedeutung der eigenen kulturellen Zugehörigkeit und Identität für die Gesamtidentität) bei der Nachuntersuchung verbunden sein würde.

Darüber hinaus untersuchten wir, ob Umweltsensibilität (die Fähigkeit, externe Faktoren zu registrieren, zu verarbeiten und auf sie zu reagieren (6)) und Migrationshintergrund die Wirksamkeit der Intervention mindern.

Zunehmende Erforschung kultureller Identität… Vor allem bei hochsensiblen Jugendlichen!

In Übereinstimmung mit früheren Implementierungen des Identity Project (7) stellten wir fest, dass die Jugendlichen, die an dem Programm teilnahmen, beim Posttest mehr kulturelle Identitätserforschung zeigten als ihre Altersgenossen in der Kontrollgruppe.

Die zunehmende Erkundung stand jedoch nicht im Zusammenhang mit einer größeren Klarheit über die eigene kulturelle Identität bei der Nachuntersuchung, was darauf hindeutet, dass dieser Aspekt der Identitätsbildung mehr Zeit benötigt und möglicherweise durch Merkmale der Gesellschaft im Allgemeinen beeinflusst wird. Bemerkenswert ist, dass die Zunahme der Erkundung bei Schülern, die über ein höheres Maß an Sensibilität berichteten und einen Migrationshintergrund hatten, stärker ausgeprägt war, was darauf hindeutet, dass diese Schüler stärker von der Intervention profitierten.

Auch wenn die Studie noch weiter repliziert werden muss, deutet sie darauf hin, dass potenzielle Risikofaktoren wie Umweltempfindlichkeit und Migrationshintergrund Heranwachsenden in positiven Kontexten zugute kommen. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit dem Vantage-Sensitivitäts-Modell (8), demzufolge hochsensible Personen besonders stark von positiven Umwelterfahrungen profitieren.

Was kommt als nächstes? Implikationen und zukünftige Ausrichtungen für Forschung und Praxis

Die Belege für die Wirksamkeit des Identity Project in anderen Ländern als den Vereinigten Staaten eröffnen neue Wege zur Förderung des psychosozialen Wohlbefindens in Schulen mit unterschiedlicher kultureller Herkunft.

In vielen europäischen Ländern besteht für Jugendliche mit Migrationshintergrund ein höheres Risiko, die Schule abzubrechen, von Gleichaltrigen schikaniert zu werden und ein geringeres Zugehörigkeitsgefühl zur Schule zu entwickeln als für Jugendliche aus der Mehrheit der Bevölkerung. Unsere Ergebnisse geben daher Aufschluss darüber, wie diese Kluft im Erziehungsbereich verringert werden kann.

Allen Schülern einen geschützten Raum zum Reflektieren und zur Teilnahme an Aktivitäten zu bieten, die ihnen helfen, ihre sich ständig weiterentwickelnde Identität in Bezug auf ihre kulturellen Hintergründe zu erforschen und zu verstehen, ist ein wichtiger Schritt zum Aufbau integrativerer multikulturellen Gesellschaften.

Darüber hinaus unterstreicht diese Studie die Bedeutung der Sensibilität der Jugendlichen für Umwelteinflüsse und des Migrationshintergrunds als Voraussetzungen für ein besseres Verständnis derjenigen, für die das Identity Project am vorteilhaftesten ist, obwohl weitere Forschung erforderlich ist, um die Mechanismen aufzudecken, die der erhöhten Empfänglichkeit des Einzelnen für Interventionen zugrunde liegen.

 

 

 

Moscardino Bild1

Et1 = Exploration beim Posttest; HSCS = Highly Sensitive Child Scale; MIGR = Migrationshintergrund; Gruppe: 0 = Kontrolle, 1 = Intervention

Literatur

  1. Phinney, J. S. (1989). Stages of ethnic identity development in minority group adolescents. The Journal of Early Adolescence, 9, 34-49.
  2. Umaña‐Taylor, A. J., Quintana, S. M., Lee, R. M., Cross Jr, W. E., Rivas‐Drake, D., Schwartz, S. J., Syed, M., Yip, T., Seaton, E., & Ethnic and Racial Identity in the 21st Century Study Group. (2014). Ethnic and racial identity during adolescence and into young adulthood: An integrated conceptualization. Child Development, 85(1), 21-39. doi:10.1111/cdev.12196
  3. Schwarzenthal, M., Juang, L. P., Schachner, M. K., van de Vijver, F. J., & Handrick, A. (2017). From tolerance to understanding: Exploring the development of intercultural competence in multiethnic contexts from early to late adolescence. Journal of Community & Applied Social Psychology, 27, 388-399. doi:10.1002/casp.2317
  4. Umaña-Taylor, A. J., & Douglass, S. (2017). Developing an ethnic-racial identity intervention from a developmental perspective: Process, content, and implementation. In N. J. Cabrera & B. Leyendecker (Eds.), Handbook of positive development of minority children and youth (pp. 437–453). Cham, Switzerland: Springer.
  5. Ceccon, C., Schachner, M. K., Lionetti, F., Pastore, M., Umaña‐Taylor, A. J., & Moscardino, U. (2023). Efficacy of a cultural adaptation of the Identity Project intervention among adolescents attending multiethnic classrooms in Italy: A randomized controlled trial. Child Development, 94(5), 1162-1180. https://doi.org/10.1111/cdev.13944
  6. Umaña‐Taylor, A. J., Douglass, S., Updegraff, K. A., & Marsiglia, F. F. (2018). A small‐scale randomized efficacy trial of the Identity Project: Promoting adolescents’ ethnic–racial identity exploration and resolution. Child Development, 89, 862-870. doi:10.1111/cdev.12755
  7. Pluess, M. (2015). Individual differences in environmental sensitivity. Child Development Perspectives, 9, 138-143. doi:10.1111/cdep.12120
  8. de Villiers, B., Lionetti, F., & Pluess, M. (2018). Vantage sensitivity: A framework for individual differences inresponse to psychological intervention. Social Psychiatry and Psychiatric Epidemiology, 53, 545–554. doi:10.1007/s00127-017-1471-0